Cybersecurity – ein strategisches Thema für Technische Kaufleute
Cybersecurity? Klingt nach IT-Abteilung. Doch gerade Technische Kaufleute stehen oft an Schnittstellen, an denen sensible Informationen zusammenlaufen – und damit auch Sicherheitsrisiken. Wer in dieser Rolle Verantwortung trägt, muss digitale Gefahren erkennen können, bevor sie zum Problem werden.
Auf den ersten Blick scheint Cybersecurity (CS) nicht im klassischen Aufgabenfeld einer Technischen Kauffrau oder eines Technischen Kaufmanns (TK) zu liegen. Der Fokus liegt doch auf der Schnittstelle zwischen Technik und Betriebswirtschaft – auf Einkauf, Projektkoordination, Produktionssteuerung, Auftragsabwicklung. Aber auf den zweiten Blick wird klar: Wer heute als TK Verantwortung trägt, kommt an Fragen der IT-Sicherheit nicht vorbei.
TK stehen oft an Schlüsselpositionen im Unternehmen. Sie haben Zugang zu sensiblen Informationen: Produktionsdaten, Kalkulationsgrundlagen, Einkaufsstrategien, Lieferantendaten, Logistik- und Kundeninformationen. Solche Unternehmensdaten sind von hohem Wert – nicht nur für das Unternehmen selbst, sondern auch für Cyberkriminelle. Sie nutzen diesen Wert gezielt aus, um Unternehmen zu erpressen und unter Druck zu setzen. Social Engineering, Phishing, kompromittierte Zugänge, unzureichend geschützte Schnittstellen – all das sind reale Bedrohungen, denen sich Unternehmen täglich stellen müssen.
Die IT-Infrastruktur von KMU muss heute mehr leisten als nur zu funktionieren – sie muss auch in der Lage sein, automatisierte und zufällige Cyberangriffe abzuwehren. Cybersicherheit ist dabei weniger ein technisches Thema als vielmehr eine Frage des Risikomanagements.
«Technische Kaufleute sind prädestiniert, dieses Thema zu voranzutreiben. Als Schnittstelle zwischen Technik und Betriebswirtschaft erkennen sie Risiken frühzeitig und verstehen deren Auswirkungen auf das Unternehmen. Sie können Cybersicherheit gezielt als strategisches Thema in der Geschäftsleitung platzieren – und damit einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Stabilität und Resilienz ihres Unternehmens beitragen» erläutert Marco Hiestand, Geschäftsführer der BEVIT AG, die Unternehmen bei der Umsetzung von geeigneten Cybersecurity-Massnahmen unterstützt.
Wieviel Security-Kompetenz braucht es wirklich?
Technische Kaufleute sind keine IT-Security-Expert:innen. Müssen sie auch nicht sein. Aber sie sollten verstehen, wie digitale Prozesse (ERP, CRM, PLM etc.) strukturiert sind und welche Schwachstellen im Alltag übersehen werden. Wer beispielsweise Lieferanten evaluiert, darf nicht nur auf Preise, Lieferzeiten oder Qualitätskennzahlen schauen – sondern muss auch deren IT-Sicherheitsstandards einbeziehen.
Hiestand beschreibt ein konkretes Beispiel aus seiner Praxis: «Ein Kunde hatte mit einem langjährigen Lieferanten eine cloudbasierte Plattform für technische Spezifikationen aufgebaut – aber niemand hatte geprüft, wie die Zugänge abgesichert waren. Das Resultat war ein Sicherheitsleck, über das ein externer Angreifer tagelang Daten abgreifen konnte – unbemerkt.»
Solche Vorfälle zeigen: Technische Kaufleute müssen nicht alles selbst absichern, aber sie müssen wissen, welche Fragen sie stellen müssen – intern wie extern. Wie ist der Zugriff geregelt? Welche Zertifizierungen gibt es? Wer trägt im Falle eines Vorfalls die Verantwortung?
Digitale Souveränität und Sicherheitsbewusstsein
Hier liegt ein entscheidender Zukunftsfaktor für das Berufsbild TK: digitale Souveränität kombiniert mit Sicherheitsbewusstsein. Wer nur Systeme bedienen kann, wird langfristig ersetzt. Wer jedoch deren Risiken erkennt, einschätzt und im betrieblichen Kontext adressiert – der wird unverzichtbar. «Cybersecurity ist kein reines IT-Thema mehr. Es ist Chefsache. Und bei mittleren Unternehmen eben auch Sache der Technischen Kaufleute», bringt es Hiestand auf den Punkt.
Fazit
Der Umgang mit digitalen Risiken darf nicht auf Spezialisten abgewälzt werden. Gerade in funktionsübergreifenden Rollen – wie sie Technische Kaufleute typischerweise innehaben – braucht es ein Grundverständnis für Sicherheitsfragen. Nicht im Sinne technischer Tiefe, sondern im Sinne unternehmerischer Wachsamkeit. Cybersecurity ist kein Zusatzthema. Sie ist Voraussetzung für unternehmerische Handlungsfähigkeit.
Künstliche Intelligenz – Chance oder Konkurrenz für Technische Kaufleute?
Künstliche Intelligenz verändert die Arbeitswelt. Auch Technische Kaufleute sind davon betroffen – und profitieren davon. Denn wer Prozesse versteht, kann sie mitgestalten. Der Verband anavant sieht Handlungsbedarf – und Potenzial.
Brauchen wir bald keine Technischen Kaufleute mehr – nur noch Algorithmen? Eine provokante Frage. Und doch eine, die sich viele stellen, wenn sie über den rasanten Fortschritt Künstlicher Intelligenz nachdenken. In Einkaufsabteilungen, in der Produktionsplanung oder im Vertrieb: Immer öfter übernehmen datenbasierte Systeme Aufgaben, die bislang Menschen erledigt haben.
Doch die Realität ist differenzierter – und gerade für Technische Kaufleute vielversprechend. Denn wer Prozesse durchblickt, wer Technik und Wirtschaft miteinander verbinden kann, wird durch KI nicht ersetzt – sondern verstärkt. «Technische Kaufleute befinden sich in einer Schlüsselposition. Sie sprechen sowohl die Sprache der Technik als auch die der Wirtschaft – genau diese Schnittstellenkompetenz braucht es, wenn KI zum Einsatz kommt», sagt Rolf Meyer, Präsident der Prüfungskommission von anavant und Studiengangsleiter MBA an der FHNW.
Gerade weil KI-Systeme datengetrieben funktionieren, braucht es Fachpersonen, die Daten richtig einordnen, kritisch hinterfragen und zielführend einsetzen können. TK sind dafür prädestiniert – wenn sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und ihre Rolle neu zu definieren.
Berufsbilder im Wandel
Viele Berufsbilder verändern sich durch den Einsatz von KI – das gilt auch für Technische Kaufleute. Routineaufgaben verschwinden, datenbasierte Entscheidungen gewinnen an Bedeutung. «KI nimmt uns aber nicht alle Arbeit ab – sie verändert jedoch, wie wir arbeiten», so Rolf Meyer. «Das Berufsbild wird strategischer, analytischer, kommunikativer. Genau darin liegt die Zukunft.»
Dafür braucht es nicht nur technisches Know-how, sondern auch kritisches Denken, kommunikative Stärke und ethisches Urteilsvermögen – Fähigkeiten, die in der Ausbildung und im Berufsalltag von TK bereits heute eine wichtige Rolle spielen.
«KI ist nicht der Ersatz für den Menschen», betont Meyer. «Aber sie ist ein Weckruf, sich mit der eigenen Rolle im Unternehmen neu zu positionieren. Der Einfluss von KI auf die Arbeitswelt steht jedoch erst am Anfang. Es gilt, die Möglichkeiten zu nutzen und aktiv zu gestalten. Technische Kaufleute haben hier beste Karten – wenn sie bereit sind, sich weiterzuentwickeln.»
Fazit:
KI ist weder nur Bedrohung noch nur Werkzeug. Für Technische Kaufleute ist sie vor allem eines: ein Anlass, den eigenen Wert im Unternehmen neu zu definieren – und sichtbar zu machen.
Prof. Dr. Rolf Meyer ist Professor für Entrepreneurship an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) in Brugg-Windisch. Seit dem 1. Januar 2022 amtiert er zudem als Präsident der Prüfungskommission des Schweizerischen Verbands technischer Kaderleute (anavant), nachdem er zuvor bereits mehrere Jahre in verschiedenen Funktionen innerhalb des Verbands tätig war.
Seine beruflichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Geschäftsmodell-Innovationen, Start-ups, Inkubatoren und Entrepreneurial Ecosystems.